Lois McMaster Bujold: Ethan von Athos
Lois McMaster Bujold: Ethan von Athos
(Heyne 06/5293)
Da wir nun schon alle früheren Romane des Barrayar-Zyklus besprochen
haben, will ich auch noch zu diesem fünften etwas aufschreiben. Meine
Erwartungen waren von den vorherigen Bänden um Miles Vorkosigan eher
enttäuscht worden, so daß dieses Buch recht lange liegen blieb,
bevor ich es schließlich zur Hand nahm. Inzwischen sind noch weitere
Bücher in diesem Zyklus erschienen, auf die ich vielleicht auch noch
zurückkommen werde, so ich sie irgendwo erstehen kann.
Das vorliegende Buch handelt allerdings nicht von Miles Vorkosigan
bzw. Admiral Naismith, jedoch in demselben "Universum". Hauptperson ist
der Titelheld Dr. Ethan Urquhart vom Planeten Athos. Jener ist eine reine
Männerwelt, daher auch der von der Mönchsrepublik auf der griechischen
Halbinsel entlehnte Name. Bujold hat sich nicht die Mühe gemacht,
bzw. es dem Leser erspart, dieser Welt auch noch eine griechisch-orthodoxe
Religion zu verpassen. Die Religiösität der Bewohner bleibt verschwommen,
wenn sie auch zweifellos vorhanden und ein wichtiger Bestandteil ihrer
Kultur ist. Die Herrschaften pflanzen sich ausschließlich im Labor
fort, wofür u.a. Dr. Ethan verantwortlich ist. Nach 200 Jahren Indoktrination
mit der von den "Gründervätern" stammenden Weltanschauung sind
Frauen nicht nur unbekannte Wesen für Athosianer, sondern werden regelrecht
gefürchtet. Die Meinung herrscht vor, daß die Frauen irgendwie
den Rest des Universums versklavt haben müssen.
Mir erschien das etwas übertrieben, aber wer weiß schon,
was eine fanatische Regierung mit der Möglichkeit der totalen Isolation
machen kann?
Nach 200 Jahren sind aber auch die Eierstöcke in den Labors am
Ende - denn man vermehrt sich hier nicht durch Klonen. Immer mehr
Kulturen fallen aus, und so versuchen die Athosianer auf dem freien interstellaren
Markt neues Material zu kaufen. Als es geliefert wird, stellt sich aber
heraus, daß nur unbrauchbarer Abfall in den Containern ist.
Und so wird schließlich Ethan losgeschickt, um sich persönlich
darum zu kümmern. Heldenhaft begibt er sich auf die Reise, die ihn
an Bord einer Raumstation führt, mitten unter Frauen! Nicht nur, aber
Männer kennt er ja zur Genüge. Auch falsch, als er sich nämlich
in seiner Verwirrung an Männer wendet, die in einer Bar sind, wo nur
Männer hingehen, merkt er, daß man Athos für einen Planeten
der Schwulen hält...
Viel wichtiger ist, daß er Elli Quinn trifft, die rein zufällig
eine Geheimagentin von Vorkosigans / Naismiths Dendarii-Söldnern ist.
Und dann wird er auch schon gekidnapt, gefoltert und soll umgebracht werden.
Was Elli jedoch rechtzeitig verhindert. Der arme Mann sieht sich in einen
Strudel von Ereignissen verstrickt, die er anfangs überhaupt nicht
versteht.
Kurz gesagt, das Ganze ist ein, zwei Nummern größer, als
es den Anschein hatte. Bujold spinnt hier ein Garn von interstellarer Spionage
und Gegenspionage, bei der es um genmanipulierte Telepathen geht. Mir ist
so, als bezöge sich das auf etwas, das auch in anderen Büchern
des Zyklus' erwähnt wird, aber ich bin nicht sicher. Es gibt jedenfalls
viele Querverbindungen, wie es sich für einen Zyklus gehört.
Quinn kennt Naismith nicht nur sehr gut, sie verehrt ihn und erwähnt
ihn oft. Und ganz am Anfang liest Ethan in einer wissenschaftlichen Zeitschrift
einen Artikel von Elizabeth Naismith, offenbar eine Verwandte von Miles'
Mutter Cordelia. Für die Fans sicher interessant, aber das Buch kann
ganz gut für sich allein stehen, ohne daß man den Rest kennen
muß.
Der anfangs ganz und gar in seiner seltsamen athosianischen Weltsicht
gefangene Ethan entwickelt sich unter dem Druck der Umstände schnell.
Andererseits aber nicht so weit, daß er nicht mehr nach Hause zurückkehren
würde oder jetzt etwas gegen Athos hätte. Bujold liegt es fern,
diese fremdartige Kultur, die scheinbar aus einem Haufen paranoider, verklemmter
Spinner entstanden ist, zu verurteilen. Sie geht nicht etwa so weit, Ethan
es mit Quinn treiben zu lassen, was ihn dann blitzartig "läutern"
würde. In dieser Gegenüberstellung von Lebensweisen bleibt die
Autorin unbeteiligter Erzähler, ohne Partei zu ergreifen. Allerdings
sieht sie auch den Keim der Stagnation auf Athos. Und Ethan macht am Ende
doch etwas, das seinen Planeten auf lange Sicht verändern wird, vielleicht
weil eben nur ein Athosianer dazu in der Lage wäre.
Er akzeptiert den letzten Telepathen, den seine Erzeuger in panischer
Angst quer durch die Galaxis verfolgen, als einen Menschen und bietet ihm
Asyl. Und er bietet ihm an, das genetisch veränderte Material doch
noch nach Athos zu schaffen - was in ein paar Generationen eine ganze Rasse
von Telepathen erzeugen wird. In einer Welt von heute ist das vielleicht
das phantastischste Element des ganzen Romans.
Ethan of Athos, © 1986 by Lois McMaster Bujold, übersetzt von Michael Morgental 1995
SX 90
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