Philip José Farmer: Red Orc's Rage

Der Zorn des Roten Lords
Philip José Farmer: Red Orc's Rage
(Grafton 1991, 282 Seiten, £ 4.99)


Das war sicher eines der seltsamsten Bücher, die ich in letzter Zeit gelesen habe. Nicht so sehr wegen des Inhaltes, aber wegen der Form.
Farmer ist neben seiner "Flußwelt"-Serie für einen weiteren Zyklus bekannt, die "Welt der tausend Ebenen" oder "World of Tiers" - Serie. Erst vor kurzem erschien nach langer Pause der wohl abschließende Teil "More Than Fire" (s. SX 69). Das vorliegende Buch schien mir schon vom Titel her zum Zyklus zu gehören, ist doch Red Orc einer der Hauptcharaktere - übrigens der ultimate Böse in der Welt der Taschenuniversen, die von den Lords oder Thoan geschaffen wurde. Ich war daher sehr erstaunt und zunächst auch enttäuscht, als ich bemerken mußte, daß das Buch scheinbar gar nicht zum Zyklus gehört. Schlimmer noch: Es ist mehr oder weniger gar kein Fantasy- oder Science Fiction Roman, sondern Mainstream!
Jim Grimson ist ein 17jähriger Junge, dessen häusliche Probleme darin eskalierten, daß er das Haus seiner Eltern in Brand steckte. Zu seinem Glück kommt er nicht ins Gefängnis, sondern in eine psychiatrische Therapie. Dr. Porsena, der Psychiater, hat eine recht eigentümliche Methode zur Therapierung von solch antisozialen Personen entwickelt. Basierend auf Farmers "Welt der tausend Ebenen" - Zyklus regt er seine Patienten dazu an, sich einen Charakter aus den Büchern zu wählen, in dessen Rolle sie schlüpfen, um dann in ihrer Phantasie Abenteuer zu erleben. Davon berichten sie der Therapiegruppe usw. Irgendwann sollen dann die Charaktereigenschaften analysiert werden, so daß die Patienten in der Lage sind, zu einer anderen Einstellung sich, dem Leben und dem ganzen Rest gegenüber zu finden.
Der Umstand, daß Farmer selbst darüber schreibt, wie andere seine Bücher lesen und so relativ zweckentfremdet einsetzen, ist schon etwas besonderes. Seine Protagonisten sprechen oft über die Bücher und über ihn, z.B. fragt Jim an einer Stelle: "... Aber wann zur Hölle wird Farmer den Zyklus beenden?" (8) Damit reflektiert der Autor sicher genau jene Frage, die ihm seine Leser über die Jahre oft genug gestellt haben müssen. (Nun hat er den Zyklus ja beendet.) Die Idee, die eigenen Bücher sozusagen als Hintergrund in eine weitere fiktive Handlung aufzunehmen, ist schon großartig, birgt natürlich auch ein gewisses Risiko. Jedoch hat es Farmer meiner Ansicht nach recht gut umgangen, sich selbst zu vordergründig zu loben. Der Psychiater Dr. Porsena benutzt die Serie wohl nicht so sehr wegen ihrer literarischen Qualitäten, sondern weil das von Farmer entwickelte Konzept der Taschenuniversen seiner psychiatrischen Praxis gute Ansatzpunkte bietet.
Jim Grimson - der Name ist ein Wortspiel mit crimson (rot) - wählt die Gestalt des Red Orc, will er doch seine unbändige Wut auf alles und jeden irgendwie ausdrücken. Mittels einer Art meditativer Technik beginnt er, sich in Orc hineinzuversetzen. Immer wenn er das tut, erlebt er quasi als blinder Passagier mit, was Orc zustößt. Er beginnt, als Orc noch ein Kind ist, und schreitet fort bis zu dem Zeitpunkt, als er von seinem Vater Los verstoßen wird. Was dann folgt, ist eigentlich genau so eine Story, wie sie Farmer in den Bänden des Zyklus' erzählt. Orc muß sich auf mehreren feindlichen Welten durchschlagen, die jeweiligen Tore finden und lebend durchschreiten. Das scheint fast so, als habe Farmer ein Buch über Orc schreiben wollen, dessen Fragmente sich hier wiederfinden. Ein siebenter Band nach dem selben Strickmuster wäre vielleicht doch zuviel des Guten gewesen, so aber sind die Abenteuer im Universum der Lords nur die Hirngespinste des verwirrten Jim. Oder doch nicht? Jim steigert sich immer mehr in die Vorstellung hinein, daß er in eine reale Welt geht, wenn er sich in Orc versetzt, daß es Paralleluniversen gibt, die er genau wie Farmer (und William Blake, der Farmers Vorbild war) auf irgendeine Weise anzapft. Farmer bezieht sich auf eigene mystische Erfahrungen oder Visionen (229) und will dem Leser offenbar weismachen, daß Jim recht hat.
Entgegen meinen Erwartungen verliert sich Jim nicht im Wahnsinn oder in den Welten des Orc, wenn er auch nahe daran ist. Die Therapie hat Erfolg und er wird am Schluß wieder entlassen. Dr. Porsena selbst allerdings hat leise Zweifel, ob Jim nicht wirklich recht hatte, ob nicht tatsächlich ein Kontakt mit Paralleluniversen möglich ist. Aber Farmer vertieft das nicht, sondern entläßt seine Leser in ihre eigenen Gedanken zu diesem Thema.
Nichts an der eigentlichen Handlung ist wirklich so phantastisch, daß man das Buch unter SF oder Fantasy einordnen könnte. Nicht einmal die eigenartige Form der Therapie ist das. Tatsächlich ist Dr. Porsena die literarische Umsetzung von Dr. James Giannini an der Ohio State University. Seit Ende der 70er Jahre benutzte Dr. Giannini wirklich Farmers Romane in etwas, das er (wie im Buch) nach "World of Tiers" die "Tiersian therapy" nannte. Im Dezember 78 informierte er den Autor in einem Brief darüber. Giannini hat auch ein Nachwort zu dem Roman geschrieben, in dem er seine Methoden erklärt.
Für mich als SF-Leser waren natürlich die Abschnitte am interessantesten, wo Jim als Orc unterwegs ist. Die realen Erlebnisse Jims bei der Therapie schienen mir zum größten Teil nicht so fesselnd zu sein - was ja auch logisch ist. Das Phantasie-Universum muß schließlich viel phantastischer sein als die Realität. Man kann sich vermutlich darüber streiten, zu welchem Genre dieses Buch nun wirklich gehört. Die Fans der Welt der tausend Ebenen sollten es selbstverständlich lesen, und sei es nur, um weitere Episoden aus dem Leben Orcs zu erfahren.
Die Covergestaltung der Grafton-Ausgabe zeigt eine phantastische Welt in Rot, nebst einem Drachen, der dort gar nicht hingehört. Leider ist die des im November angekündigten Heyne-Buches noch viel schlimmer...
Eine weitere Besprechung (der deutschen Ausgabe) wird zum entsprechenden Zeitpunkt in SOLAR-X zu finden sein.

SX 90

 

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