Terry Pratchett: Johnny and the Bomb
Terry Pratchett: Johnny and the Bomb
(Corgi Books 1996, 237 Seiten, £
3.99)
Nach "Only You Can Save Mankind" und "Johnny
and the Dead" (s. SX 69) kam nun ein dritter Teil der Abenteuer Johnnys
und seiner Freunde in Blackbury heraus. Man kann nicht sagen, daß
es sich bei diesen Romanen um ausgesprochene Kinderbücher handelt,
obwohl die Helden Teenager sind und die Verlage sie meistens so einordnen.
Pratchett sagt selbst dazu, er schreibt für alle, die alt genug sind,
um es zu verstehen. Die weniger bekannten Romane außerhalb des Scheibenwelt-Zyklus
sind dennoch erfolgreich, zumindest von "Johnny and the Dead" weiß
ich, daß es auch verfilmt wurde. (Lief unlängst sogar hierzulande
auf dem Kinderkanal.)
Auch der dritte Teil ist spannend und
wahnsinnig komisch - an einigen Stellen zumindest. An anderen Stellen macht
das Buch auch nachdenklich, führt Pratchett dem Leser doch mit aller
Deutlichkeit vor Augen, wie Kinder meist behandelt werden: herablassend,
gönnerhaft, ignorant. Die Erwachsenen leben in dem Bewußtsein,
daß sie immer recht haben und ihr Wissen der Weisheit letzter Schluß
ist. Ein kahlgeschorener Teenager mit Tarnjacke ist natürlich nicht
nur ein Skinhead, sondern mindestens für alle Straftaten verantwortlich,
die in dem kleinen Städtchen Blackbury passieren. Ein schwarzer Junge
ist bei aller Toleranz der Engländer immer noch ein Neger und er fällt
auf. In Blackbury sicher viel mehr als z.B. in London, wo man sich nur
einmal umdrehen zu braucht, um Leute anderer Hautfarbe zu sehen. Und ein
nachdenklicher Typ wie Johnny, der manchmal zu Tagträumen neigt, die
eher Visionen sind, wird von den Lehrern für "gestört" erklärt.
Die Truppe um Johnny ist eine genauso
durchschnittliche Kindergruppe wie die von Stephen King in "es". Auch ein
Mädchen gehört dazu, das etwas anders ist, als die durchschnittliche
Puppenliese. Kirsty hat beispielsweise den Karateclub der Schule verlassen,
weil sich kein Junge näher als zwei Schritt an sie heranwagte...
Jedenfalls stoßen die Jungs in einer
Seitengasse auf die alte Pennerin (im Englischen Bag-Lady) Mrs. Tachyon,
der etwas zugestoßen sein muß. (Sie wird übrigens schon
in "Johnny und die Toten" erwähnt.) Sie lassen sie ins Krankenhaus
bringen und stellen ihren Einkaufswagen voller schwarzer Tüten in
Johnnys Garage unter.
Im Kapitel Nr. 1 ist der Leser Mrs. Tachyon
jedoch schon im Jahre 1941 kurz nach der Bombardierung von Blackbury begegnet,
und man weiß auch, was ihr zugestoßen ist: ein Blindgänger
explodierte und sie verschwand. Nun ja, der Name der exzentrischen Frau
sagt schon einiges. Pratchett hat sich hier auf ein Zeitreiseabenteuer
eingelassen.
Der Schlüssel dazu ist der Einkaufswagen,
bzw. die schwarzen Beutel, in denen Zeit steckt - so deuten es jedenfalls
die Kinder. Nach einigen Experimenten, bei denen Kirsty sich als ungewöhnlich
zielstrebig erweist, landet die ganze Truppe 1941. Grund dafür ist
ein Schulprojekt, mit dem sich Johnny beschäftigte, eben die einzige
Bombennacht des Städtchens im 2. Weltkrieg. Seine Gedanken daran beeinflussen
den Zeitsprung.
Nun stehen die Helden vor der Frage, ob
sie den Ablauf der Ereignisse, bei denen 19 Menschen umkamen, beeinflussen
sollen und können. Aber das hängt nicht nur von ihnen ab. Der
Skinhead Bigmac wird verhaftet und für einen deutschen Spion gehalten
- hätte sich eben nicht mit Hakenkreuzen auf der Jacke nach 1941 wagen
sollen. Dem dicken Wobbler schleicht ein kleiner Junge nach, der ebenfalls
der fixen Idee anhängt, daß der Fremde ein Spion sein müsse.
Schließlich zieht sich die Gruppe in die Gegenwart zurück, um
zu bemerken, daß Wobbler fehlt!
Ein Zeitparadoxon wurde erzeugt, buchstäblich
der sprichwörtliche Großvater umgebracht. Nun gibt es zwei Zeitlinien,
zwei Beine einer Hose, wie ein mysteriöser alter Mann namens Sir John
es an Pratchetts Stelle so genial nennt. Jener Mann gibt sich den Kindern,
die ihn für einen der Männer in Schwarz gehalten haben,
bald als ... Wobbler zu erkennen, der mit der Gründung der ersten
Fast Food Kette der Welt zum Milliardär wurde. Überhaupt gibt
es ständig Anspielungen auf die "X-Files" und andere Mystery-Serien.
Kirsty wird als Trekkie enttarnt und auch ein anderer Junge macht die Größe
seiner ST-Videosammlung zum Maßstab seiner Informiertheit über
alles Übernatürliche.
Nun müssen Johnny & Co. also
wieder zurückreisen, nicht nur, um das Paradoxon ungeschehen zu machen
und Wobbler zu holen, sondern auch um die Bombenopfer zu retten. Interessanterweise
nehmen sie dabei in Kauf, daß sich eine weitere Veränderung
in der Zeit bildet und sie in eine ungewisse, neue Gegenwart zurückkehren
werden. Doch sie tun trotzdem ihr Äußerstes, um die Menschen
zu retten. Diese praktische Tat erscheint logischer und menschlicher als
das Beharren auf dem theoretischen "Großvaterparadoxon" oder irgendeiner
Ersten Nichteinmischungsdirektive.
Pratchett ist um ein Vielfaches witziger
und konsequenter als z.B. Andrew Harman, der seine kindlichen Helden auch
auf Zeitreise schickte (s. SX 77, 84). Sind die Kinder bei Harman nicht
viel mehr als tumbe Bälger, so hat man bei Pratchett Charaktere, deren
Abenteuern man auch als Erwachsener mit Interesse zu folgen vermag.
Die ersten beiden Bände sind bei
Goldmann auf Deutsch zu haben, und zwar unter dem Titel "Nur du kannst
die Menschheit retten" und "Nur du kannst sie verstehen". Diese ziemlich
schwachsinnige Praxis der Titelgebung wird auch beim dritten Teil fortgesetzt,
der "Nur du hast den Schlüssel" heißen soll und im November
erwartet wird. Alle Bände kosten je 12.90 DM. Das ist für ihre
relativ geringe Dicke ziemlich viel, aber es lohnt sich (falls die Übersetzung
etwas taugt...).
SX 90
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