Charles de Lint: Moonheart

Charles de Lint: Moonheart
(Pan Books 1984, 485 Seiten, £ 5.99) 

Genau wie damals bei "Das Kleine Land" (SX 60) weiß ich nach der Lektüre dieses Buches nicht so recht, wo ich beginnen soll. Es ist einfach zu überwältigend, zu gut. Der Vergleich mit "Das Kleine Land", übrigens unlängst wieder bei Heyne aufgelegt - und diesmal in einem Band -, ist durchaus angebracht. "Mondherz" ist ein weiteres Meisterwerk urbaner Fantasy, d.h. einer besonderen Richtung der Fantasy, in welcher unsere heutige, ganz normale Welt unverhofft mit einer anderen, parallelen, Fantasywelt konfrontiert wird.
Auch in diesem Buch entdeckt eine der Heldinnen etwas, das die Tore zu dieser Anderen Welt öffnet. Im Lagerraum des Antiquitätengeschäftes ihres Onkels stößt Sara Kendell auf einen seltsamen indianischen Medizinbeutel und ein Bild, das offenbar einen Schamanen und einen keltischen Harfner zeigt. Im Beutel ist außerdem ein keltischer Ring, den Sara behält.
Gleichzeitig begegnet der Leser Kieran Foy, einem wandernden Musiker, der offenbar von einem Mann namens Thomas Hengwr in den Weg des Barden eingeführt worden ist. Jetzt sucht er den verschwundenen Hengwr. Aber auch die kanadische Polizei sucht ihn, genauer gesagt, eine spezielle Abteilung zur Untersuchung paranormaler Phänomene. Irgendwer ganz oben hat diese Abteilung geschaffen, die einem Leser noch viel unwahrscheinlicher anmutet als das wirklich magische an dem Buch. Erst gegen Ende wird geklärt, wieso man den Eindruck erhält, Kanada sei ein Polizeistaat, wo die Behörden willkürlich Leute festnehmen und unter Drogen ausquetschen können, von denen sie glauben, daß sie paranormale Fähigkeiten haben.
In der realen Welt suchen also ein Inspektor Tucker und ein von ihm unabhängig operierendes Killerkommando nach Hengwr, Kieran und den anderen in die Sache verwickelten Personen. In der Anderen Welt (Otherworld), wo es von mythologischen Gestalten aus der keltischen und indianischen Folklore nur so wimmelt, braut sich auch etwas Böses zusammen, das schließlich bewirkt, daß das Haus, in dem sich Saras Freunde aufhalten, z.T. in die Andere Welt gerissen wird. Sie selbst wird schon eher mit Kieran dorthin transportiert.
Sara hat wohl auch angeborene magische Fähigkeiten, denn sie zeitwandert gleich mal ein paar Jahrhunderte zurück, um den Barden Taliesin zu treffen - den Namen muß man wohl nicht erklären. Sie verliebt sich in ihn usw...
Ein komplizierter Kampf entbrennt. Das finstere Monster, das im Zusammenhang mit Tom Hengwr steht, der ein Druide aus Taliesins Zeit ist, greift das Haus an und jagt gleichzeitig Sara. Kieran und indianische Schamanen mischen sich ein, aber auch viele andere Kräfte, die hier aufzuzählen, nur Verwirrung stiften würde, spielen eine Rolle. Aus der Realität ist das Killerkommando mit dem Haus mitgerissen worden, nun zwangsweise auf der Seite seiner Opfer, aber nur so lange, wie man gegen ein Heer von Monstern kämpfen muß.
Es ist absolut erstaunlich, was de Lint hier gemacht hat. Er hat nicht nur verstanden, keltische Mythen überzeugend mit indianischen zu verknüpfen, so daß man den Eindruck eines homogenen Ganzen erhält. Die Schicksale der einzelnen Personen und ihre unterschiedliche Entwicklung innerhalb des Buches sind in einer Handlung verflochten, die nicht einfach nur linear ist. Sara kommt eine ganz andere Aufgabe zu, als z.B. Kieran. Und doch hängt alles zusammen. Raum und Zeit haben in dieser Anderen Welt eine verschwommene Bedeutung. So ist es möglich, daß Sara Taliesin besucht und der Druide Hengwr seinen finsteren und namenlosen Schatten in der Gegenwart jagt.
Der Aufeinanderprall unserer Realität, verkörpert durch Tucker und die Gangster, sowie den Biker Blue, mit der Realität der Anderen Welt in Form der Druiden und Schamanen, der Magie und des Übersinnlichen gibt dem Buch seinen Reiz. Das ist nicht herkömmliche (und nach ein paar Büchern auch langweilige) Fantasy, wo irgendein Reich in Gefahr ist und der schwertschwingende Held es mit einer banalen Queste rettet. Das ist auch keine Fantasy, die mit Tolkien vergleichbar wäre. Charles de Lint schreibt etwas anderes, eigenes. Er ist selbst ein Barde, kennt sich bestens aus in der Volksmusik wie in den Folkloregeschichten. Dieses romantische, magische Stück Literatur ist wie ein Lied, das zu den Klängen einer keltischen Harfe vorgetragen wird.

SX 95

 

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