Charles de Lint: Spiritwalk
Charles de Lint: Spiritwalk
(TOR 1992, $ 5.99, 398 Seiten)
Die Fortsetzung von "Mondherz" ist ein ebenso
faszinierendes Buch, wenngleich viel komplizierter in Aufbau und Stil.
De Lint kehrt fast ein Jahrzehnt später in die nicht ganz unsere Welt
zurück, wo es in Ottawa ein Tamson Haus gibt, das zugleich ein Tor
zu den Anderen Welten ist. Er führt den Leser zurück zu den Personen,
die man kennt, aber alles andere entwickelt sich dann ganz anders.
Der Anfang ist recht verwirrend, weil die ersten
170 Seiten des Romans eigentlich eher vier Episoden darstellen, die auf
den zweiten Teil vorbereiten. Außerdem sind Rückblicke dabei,
so daß nicht gleich klar ist, ob das Buch nach oder vor den Ereignissen
des ersten Teiles handelt. Tatsächlich sind Teile des Werkes schon
zuvor als Erzählungen veröffentlicht worden. Neue Personen werden
eingeführt, die in neue Beziehungen zu den bekannten treten, und teilweise
finden wir die alten in ganz neuen Positionen. So ist der Biker Blue für
einen großen Teil des Buches die Hauptperson, wenn auch nicht ausschließlich.
Sara spielt anfangs kaum eine Rolle, denn sie befindet sich nun meistens
in der Anderen Welt bei den Indianern.
Verschiedene Ereignisse bereiten also darauf
vor, was dann geschieht. Ein Möchtegern-Zauberer bemächtigt sich
der Kontrolle über das magische Tamson Haus, als Jamie, bzw. dessen
Geist, der eigentlich über das Haus wachen sollte, einen Fehler macht
und in die Anderen Welten gerissen wird. Mit ihm leider auch das Haus und
eine Anzahl seiner gegenwärtigen Bewohner. Das erinnert an die Situation
im ersten Teil, nur daß das Haus nun nicht von Monstern angegriffen
wird, sondern von der Natur selbst. Bäume wachsen blitzartig aus dem
Fußboden, Tiere wie Eber und Bären greifen an - das Haus ist
in dieser Welt ein Fremdkörper, der diese Art Reaktion hervorruft.
Blue und die anderen im Haus wissen nicht, was
zu der kritischen Situation geführt hat, bei ihnen ist diesmal auch
niemand mit so großer esoterischer Erfahrung wie Tom Hengwr oder
Jamie Tams im ersten Teil. Selbst Sara fehlt fast bis zum Ende. Es dauert
eine lange Weile, bis die verschiedenen Handlungsfäden sich verknüpfen
und der machtgierige Mann unter gewissen Opfern doch noch geschlagen werden
kann.
Es würde hier zu weit führen, die vielschichtige
Handlung ausführlicher zu erzählen. Ein Hauptanliegen scheint
die Selbstfindung einer Reihe von Personen zu sein, die zum Teil mit der
Realität der außerhalb der Erfahrungsgrenzen des Gewöhnlichen
liegenden Anderen Welten konfrontiert werden. (Die Frage, wie ein Mensch
auf eine solche Konfrontation reagiert, ist ja ein Lieblingsthema vieler
Autoren. Leider wird sie nicht durch das Experiment zu beantworten sein.)
Es geht um die Übernahme von Verantwortung für sich und andere,
um das Akzeptieren der eigenen Persönlichkeit und bestimmte Gaben...
Es scheint einen gewissen Einfluß von jener
Geisteshaltung zu geben, die man wohl mit New Age (oder auch Esoterik)
umschreibt. Das spiegelt sich in der Gesamtphilosophie wieder, welche Dinge
zu ergründen sucht, die scheinbar gleich hinter den selbsterrichteten
Mauern unseres Weltverständnisses liegen, aber auch in einer Vielzahl
kleiner Details.
Der Roman hat keinen klaren Handlungsfaden, nicht
einmal einen Helden, auf den man sich konzentrieren könnte, und dennoch
baut sich Spannung auf. Die Anfangsepisoden sind voneinander zeitlich und
durch ihre Protagonisten getrennt, und hier gibt es auch noch klar zu identifizierende
Bösewichter und Gefahren. Im zweiten Teil, der mit "Geisterwald" überschrieben
ist, wird dann vordergründige Action gegen Komplexität und Symbolik
getauscht. Getreu dem Titel des Buches wendet sich der Autor nun der eigentlichen
"Geistwanderung" zu, dem esoterischen Eintauchen in das innere Selbst,
das zugleich auch eine äußere Andere Welt darstellt.
Wieder einmal hat de Lint bewiesen, wie heute
Fantasy sein kann, die nicht dutzenden so oft gebrauchten Klischees zum
Opfer fällt. Der Roman stellt seine Anforderungen an den Leser, aber
wenn man gewillt ist, das zu akzeptieren, wird man mit einem interessanten
Buch belohnt.
Es bleibt zu hoffen, daß "Moonheart" und
"Spiritwalk" bald auch von einem deutschen Verlag veröffentlicht werden,
denn der Einheitsbrei aus Endlosserien und Trivialität in der Fantasy
benötigt dringend eine Auffrischung.
SX 95
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