Gordon R. Dickson: Die Nacht der Drachen

Am Start: Die Drachen!
Gordon R. Dickson: Die Nacht der Drachen
(Heyne 06/5902 [3769])


Wer hätte das gedacht: Ein Roman von 1976 mutiert! Zu einem Zyklus natürlich. Hat das Buch zu lange auf einem Reaktor gelegen? Nun, die erste Frage ist mit "fast jeder" zu beantworten und die zweite mit "wer weiß?". Aus irgendwelchen erfolgreichen Sachen, und seien es bloß Stories, gleich einen Romanzyklus zu machen, das liegt voll im Trend. Und bei Fantasy gleich doppelt. So legt also Heyne das Buch von 1980 unter neuer Nummer, aber unter dem gleichen schwachsinnigen Titel neu auf, gefolgt von einer Reihe, deren Ende in den gewohnten "(in Vorb.)" verschwimmt. Der Titel im Original lautet "The Dragon and the George", was schon irgendwie genial ist, denn ein Georg ist auf der Welt, in die uns das Buch entführt, die allgemeine Bezeichnung der Drachen für Menschen. Schade, daß der Verlag dieses kleine sprachliche Kunststück so verderben mußte. Eine "Nacht der Drachen" spielt im Buch nämlich gar keine Rolle.
Der erste Band ist dann auch noch mit den Illustrationen John Stewarts geschmückt, die zwar nie schön sind, aber dafür interessant und zum Inhalt. Ich weiß nicht, ob Stewart inzwischen verstorben ist oder nur nicht mehr mit Heyne zusammenarbeitet, jedenfalls fehlen die Bilder in den anderen Bänden.
Und da ich gerade beim Schimpfen bin: Welcher Analphabet hat denn den Text auf der Buchrückseite diktiert? Wenn er oder sie lesen könnte, dann hätte man das mit dem Buch machen sollen, bevor man etwas dazu schreibt!
So, und nun endlich zum Buch, das der Auftakt zum "Drachenritter-Zyklus" sein soll.
Dickson hat sich damit eingereiht in die Reihe, nein Menge, derjenigen Autoren, die nach dem folgenden Schema stricken: Junger Mann, in der Regel ein mehr oder weniger erfolgloser Vertreter der Intelligenz, gerät durch Magie / böse / gute Mächte / ein Tor / ein Experiment (zutreffendes unterstreichen) in eine Parallelwelt, in der vorzugsweise das so schön einfache Mittelalter vorherrscht; und damit der Leser nicht das Buch an dieser Stelle schreiend seinem lokalen Geschichtslehrer vor die Füße wirft, gibt es in der Welt auch gleich noch Magie.
Tja, man könnte sicher mehr als ein SOLAR-X mit Beiträgen füllen, die sich ausschließlich mit solchen Situationen befassen. Warum es unbedingt nötig ist, daß ein Mensch unserer Welt in die andere versetzt wird, verraten uns weder Foster noch Donaldson noch Dickson oder jemand anderes. Man könnte die Fantasy-Handlung doch ebensogut mit einem Menschen der Welt ablaufen lassen, auf die man mit geistigen Verrenkungen extra noch einen Vertreter der unseren schicken muß. (Viele machen das glücklicherweise auch.) Manchmal ist es besonders witzig, einen New Yorker Yuppie ins Mittelalter zu schicken, aber meistens reagieren die Helden nicht so, wie ein Mensch von heute wirklich reagieren würde. Sie sind schließlich die Identifikationsfiguren. Der Leser soll doch glauben, daß er (sie) an Stelle der Helden sein könnte. Aber mal ehrlich: Wer von uns könnte denn auf einer fremden, mittelalterlichen Welt wirklich in drei Wochen alles vom Schießpulver bis zum Videorecorder neu erfinden? Ich weiß, wie man Schwarzpulver herstellt, aber da hört es schon auf...
Nun ist die Frage, die uns wieder zum Buch zurückführen soll, wie hat es denn Dickson nun gelöst? Zumindest der erste Band des Zyklus‘, den ich nun gelesen habe, ist so schlecht nicht, sieht man einmal von der abgegriffenen Idee ab, einen Dozenten (in Wartestellung) für das Mittelalter (!) in eine mittelalterliche Welt zu schicken.
James Eckert ist mit seinem Dasein an der Uni nicht zufrieden. Man hat ihm eine Dozentur versprochen, aber er wird mit einer Assistentenstelle abgespeist. So muß er für sich und seine Verlobte Angie statt einer Wohnung schon nach einem verlotterten Wohnwagen Ausschau halten. Das Geld reicht nicht usw. Zu allem Überfluß macht Angie auch noch Überstunden bei einem Typen, der sie ihm gerne ausspannen würde.
Also flippt der gute, aber etwas temperamentvolle Jim aus, als er wieder mal auf seine Flamme warten muß. Er stürmt ins Labor des üblen Profs und sieht Angie gerade noch verschwinden. Buchstäblich. Der "verrückte Wissenschaftler" hat sie bei einem völlig unüberlegten Experiment (mal sehen, was passiert!) in ein Paralleluniversum teleportiert.
Jim zwingt ihn, das Experiment zu wiederholen, damit er Angie zurückbringen kann. Nur geht das schief. Sein Körper bleibt zurück, und er findet sich im Körper eines Drachen wieder... Wo jeder andere vermutlich innerhalb von Sekunden zu einem hysterisch zuckenden Häufchen Elend (Drachenelend) geworden wäre, findet sich Jim bemerkenswert schnell zurecht.
Nunmehr wäre die lästige Frage geklärt, wie ein Mann von hier nach dort kommt. Alles, was sonst noch folgt, ist eine Quest nach allen Regeln, wie z.B. das Finden verschiedener Gefährten, das Bestehen von Abenteuern (Prüfungen) und schließlich der entscheidende Kampf. Außer für den Umstand, daß der recht intelligente Jim mit dem ziemlich blöden Drachen den Körper tauscht, ist der Anfang ziemlich bedeutungslos. Der Held benutzt seine Herkunft und sein Wissen nicht, es wird nicht gebraucht. Wo andere Autoren ständig die irdische Welt der Fantasywelt gegenüberstellen, um das eine oder das andere humoristisch ad absurdum zu führen, gibt sich Dickson damit zufrieden, seinen Helden da zu haben, wo er sein soll. Warum eigentlich? Hält er die Menschen im Mittelalter für zu beschränkt, um den Aufgaben (Angie und selbstverständlich die Welt retten) gerecht zu werden? Die Widersprüche und Anachronismen, die eine solche Situation erst komisch oder zumindest interessant machen, fehlten mir in dem Buch einfach zu offensichtlich.
Am Ende entscheidet sich Jim zusammen mit seiner Angie, auf der mittelalterlichen Magie-Erde zu bleiben, wie es auch Fosters Bannsänger tat. Eine Entscheidung, die mir lieber ist als ein heuchlerisches Zurückkehren an den "gottgegebenen Platz im Universum", und wenn der in der Schlange vor dem Arbeitsamt ist.
Jetzt muß ich mal was einfügen: Ich habe den Roman an einem Abend gelesen, er war spannend und unterhaltend.
Was meckere ich hier also eigentlich herum?
Ganz einfach, ich wollte Euch mal zeigen, daß man knapp anderthalb Seiten über ein Buch schreiben kann, ohne sehr viel von seiner Handlung zu verraten. Schließlich sollt Ihr es ja lesen!
Als Auftakt zu einem Zyklus, dessen zweiter Band vierzehn Jahre nach dem ersten erschien, ganz annehmbar. Zu den Problemen, die sich aus so einem zeitlichen Abstand ergeben, werde ich in meiner nächsten Rezi etwas sagen. Also kauft Euch das Ding schon!
 

The Dragon and the George, © Gordon R. Dickson 1976, übersetzt von Irene Holicki 1980, Neuauflage München 1997, 350 Seiten, DM 14.90 

SX 92

 

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