Iain Banks: Die Spur der toten Sonne

An den Grenzen des Machbaren?
Iain Banks: Die Spur der toten Sonne
(Heyne 1997)

"Excession". So heißt dieser neue Roman des Autors, der seine Leser ständig damit überrascht, daß er der Science Fiction noch etwas neues abgewinnen kann. Und nicht etwa "Die Spur der toten Sonne". Warum nur tut man das einem Buch an, wieso muß es ein infantiler, unpassender Titel sein, wenn es die bloße Übernahme des einen großen Schlüsselwortes im Werk (als Exzession) auch und besser getan hätte?
Denn es geht vor allem um diese, besagte Exzession, deren Natur sich Banks nicht scheut, unaufgeklärt zu lassen. Und bestimmt nicht, um eine Fortsetzung schreiben zu können.
"Excession" ist ein Kultur-Roman, und das wird all jenen etwas sagen und sie aufhorchen lassen, die sich schon ein wenig mit dem Werk von Iain Banks beschäftigt haben. Allen anderen möchte ich raten, einmal den Versuch zu wagen, die Kultur-Serie zu lesen. Zu ihr gehören im Deutschen bisher "Bedenke Phlebas", "Das Spiel Azad", "Einsatz der Waffen" und "Ein Geschenk der Kultur". Man muß es einen Versuch nennen, denn nicht jedem wird der Stil von Banks gefallen. Er schreibt teilweise sehr experimentell, oder wie immer man das nennen soll. Seine Handlungsstränge sind oft bis gegen Ende zusammenhanglos und verwirrend. Die Motive der Figuren werden nicht immer klar, er denkt gar nicht daran, den weisen Geschichtenerzähler zu spielen, der seinen Lesern alles haarklein erklärt.
Die Welt der sogenannten Kultur an sich ist schon eine äußerst faszinierende Erfindung, und ich hoffe, Banks kehrt noch recht oft in sie zurück. Sie ist so vielfältig, daß man unendlich viele Geschichten aus ihr herausholen könnte. Hier wären Zyklen wirklich nicht verkehrt. Die Kultur-Serie ist jedoch kein echter Zyklus. Vor allem, weil die Handlungen der einzelnen Bücher nichts miteinander zu tun haben.
Normalerweise führt eine ausführliche Rezension eines solchen Werkes von Banks zu einer Beschreibung und Analyse der Kultur. Sie muß zu den am tiefgründigsten erdachten Universen überhaupt zählen. Ich möchte nicht so sehr auf die oft beschriebene Hintergrundwelt eingehen, denn der sollte sich ein SF-Leser am besten selbst nähern.
Die Handlung des Buches dreht sich darum, daß von einem Raumschiff, das nicht einmal direkt der Kultur angehörte, ein Ding, ein Artefakt entdeckt wurde. Diese über 50 km große, schwarze Kugel schwebt erst einmal einfach so im All. Im Laufe der Angelegenheit wird sie allerdings auch sehr aktiv, und man betrachtet sie als eine Wesenheit. Dieses Objekt stellt aus bestimmten Gründen für die Kultur ein ganz besonderes, "außer-kon-textuelles" Problem dar. Sie ist eine Exzession, d.h. (ungefähr), daß sie von vergleichsweise überwältigender Macht ist, etwas der Kultur völlig unbekanntes und noch dazu wissenschaftlich sehr vielversprechendes darstellt. Der Kontakt der Kultur mit einer Exzession ist in etwa dasselbe wie die Landung eines Raumschiffes in einer mittelalterlichen Kultur.
So etwas kann natürlich positive wie auch ganz katastrophale Auswirkungen haben.
Daher entwickelt sich vor den aufgerissenen Augen des Lesers ein undurchsichtiges Geflecht aus Aktionen und Gegenaktionen, anfangs völlig zusammenhanglosen und schwer interpretierbaren Ereignissen und Botschaften. Das wird nicht unbedingt dadurch erleichtert, daß einige der Haupthandlungsträger die Schiffe sind, bzw. deren Gehirne, die noch weit höher stehen als die durchschnittliche KI.
Eine nicht unbedeutende Rolle spielt auch eine Zivilisation mit dem zutreffenden Namen Affronter, die der Kultur ein Dorn im Auge ist. Was die und ihre plötzliche Kriegserklärung aber mit der Exzession zu tun hat, stellt sich überraschend erst am Ende heraus. Weitere Komplikationen entwickeln sich um die menschlichen Protagonisten, die teilweise neben den Schiffen nur eine untergeordnete Rolle spielen. Vor allem zwei Leute werden von "Kontakt" aktiviert, um etwas zu tun, das scheinbar gar nichts mit der Exzession zu schaffen hat. Eine dritte Frau, die völlig allein auf einem der gigantischen Schiffe lebt, hat in diesem Spiel eine Schlüsselrolle. Sie ist übrigens seit vierzig Jahren schwanger, was ein wenig pervers wirkt. Aber für die Menschen in der Kultur ist eben fast alles möglich, und sie hat schon ihre Gründe, wenn die auch etwas neurotisch erscheinen...
Muß man noch anmerken, daß die Zusammenhänge von Banks noch mindestens einmal total gekippt werden und man wieder nicht weiß, woran man eigentlich ist?
Banks arbeitet konsequent mit der Sprache, die für ihn noch etwas anderes ist als nur ein Mittel, um seine Geschichte zu erzählen. Im Klappentext wird abschreckenderweise gesagt, es sei ein "fulminanter Roman, der bis an die Grenzen des sprachlich Ausdrückbaren vorstößt" - was allerdings stimmt. (Das ändert nichts daran, daß eine solche Behauptung nicht gerade den Massenmarkt öffnet.) Anfangs waren die Signaldateien, d.h. die Dialoge der Schiffsgehirne, für mich nur schwer verständlich. Zum Glück warf Banks später alles technische Zeug aus ihnen raus und beließ es bei den fast reinen Dialogen der Schiffe mit den höchst seltsamen Namen. Ich muß sagen, daß mich dann die Handlungsabschnitte, wo die Schiffe (bzw. Gehirne) zum Zuge kamen, am meisten interessierten. Die Menschen, die entweder dümmlich blondinenhaft daherkamen oder machoartig verspielt, waren nicht so überzeugend. Ich glaube, diesen Eindruck wollte Banks erreichen. Er spricht das natürlich nicht aus. Die Kultur, das sind erst in zweiter Linie die Menschen und anderen biologischen Intelligenzwesen. In erster Linie besteht die Kultur, diese Zivilisation der sehr fernen Zukunft, aus den hyperintelligenten Schiffsgehirnen. Sie sind es, die das Ganze lenken. Das wird an vielen Stellen des Buches deutlich gemacht, z.B. als die Schiffe, die im Prinzip das, was zu tun ist, unter sich ausmachen, noch so nebenbei ihre menschliche Besatzung überzeugen, ja, sie sogar schön demokratisch abstimmen lassen. Diese Farce ist irgendwie beängstigend, aber andererseits sind die Menschen in dem Buch nie genug profiliert worden, damit man als Leser etwas dagegen hat.
Banks schreibt anspruchsvoll. Das ist wohl eine Art Untertreibung. Seine Schreibe ist eine Herausforderung an diejenigen Leser, die auch mal etwas auf dem Feld der SF tolerieren können, das sich nicht beim ersten Blick erschließt. Banks experimentiert mit sprachlichen Ausdrucksmitteln nicht um des Experimentierens willen, die Form ist bei ihm für seine Aussage genauso wichtig wie der Inhalt. Und selbst das im Kern, was man auf den Begriff der "Story" reduzieren könnte, ist nicht ganz das, was man für gewöhnlich geboten bekommt. Die menschliche Seite daran schwelgt in den Klischees der Liebenden, dennoch Getrennten, in Dekadenz und was weiß ich noch, aber so plump und banal, daß sofort klar sein muß, nicht das ist die Geschichte, die Banks erzählt. Ein Zyniker wie ich könnte meinen, daß er uns mit dem menschlichen Teil seines Buches nur vor Augen führen will, wie nichtig und dumm unsere Existenz im Vergleich zu dem ist, was die Kultur in Wahrheit ausmacht.
"Excession" bringt mehr Einblicke in die Kultur, als jemals zuvor gewährt wurden. Ihr inneres Funktionieren, ihre Prämissen werden deutlicher als in allen anderen Bänden der Serie. Aber dennoch hat man den Eindruck von etwas, das ein einzelner Roman zu erfassen nicht imstande ist. Den Eindruck von Realität eben. Und das ist das höchste, was ein Autor erreichen kann.

Excession, © 1996 by Iain M. Banks, übersetzt von Irene Bonhorst 1997, 560 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag, 39.80 DM

SX 93

 

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