Rosemary Edghill: The Twelve Treasures

Rosemary Edghill: The Twelve Treasures
(DAW Books 1994, 1995, 1997)

The Sword of Maiden's Tears

Urbane Fantasy, das ist etwas, von dem hierzulande noch nicht viele (mir bekannte) Beispiele existieren. Wie jede Unterhaltungsliteratur ist die UF Eskapismus, wobei das Wort nicht etwa abwertend gemeint ist. Eskapismus bedeutet, diese Art Literatur befriedigt ein ganz bestimmtes Bedürfnis, nämlich nach dem Vergessen des Alltags, der Sorgen und Nöte - und sei es nur für die Dauer des Lesestoffes. Daran hat sich seit dem Aufkommen der Massenliteratur nichts geändert, wenn auch, wie die Autorin in ihrer Story in SX 92 bemerkte, ein großer Teil der heutigen Konsumenten "seinen Eskapismus mit einem Soundtrack vorzieht".
UF ist dabei wohl eine besondere Spielart, die das "Entkommen" aus dem Alltag, der Gegenwart oder der irdischen Welt auf eine eigene Weise direkt verarbeitet. In ihr wird in der Regel ein ganz normaler Protagonist von hier und heute mit etwas konfrontiert, das aus einer anderen Welt, einer Fantasy-Welt, auf die eine oder andere Weise in die seine einbricht. Im Gegensatz zu anderen Spielarten der Fantasy, wo der irdische Held irgendwie in die Fantasy-Welt versetzt wird, um dort mehr oder weniger normale Fantasy-Abenteuer zu erleben, die durch seinen irdischen Blickwinkel manchmal gebrochen werden, bleiben die Protagonisten der UF normalerweise in ihrer heimatlichen (städtischen) Umgebung und müssen sich dort mit den Verwicklungen auseinandersetzen, die das Auftauchen von Elfen, Zauber, magischen Schwertern usw. nun mal mit sich bringt. Natürlich bezieht die UF ihren Reiz aus dem Anachronismus (oder sollte man es Analocismus nennen?), der humoristisch bis gespenstisch wirken kann.
Die Trilogie "Die Zwölf Schätze" beginnt damit, daß der elfische Lord Melior durch eine Falle seiner Feinde aus der Elfenwelt nach New York geschleudert wird. Kaum dort angekommen, wird er von zwei Kerlen niedergeschlagen, die ihm sein Schwert rauben. Mit dem hat es aber eine besondere Bewandtnis. Es ist einer der 12 Schätze, die den Elfenlords zur Verwahrung gegeben wurden, aber präsentiert werden müssen, wenn ein neuer König gekrönt wird. Andernfalls wird die Sippe verflucht und verbannt, die den Schatz verbummelt. Natürlich ist genau dies das Ziel derjenigen, die Melior nach NY schickten.
Das Schwert der Jungferntränen hat aber noch eine zweite Eigenschaft. Es ist verflucht. Nur ein Elf kann es benutzen, wenn ein Mensch es auch nur berührt, verwandelt es ihn nach und nach in ein Monster, ein Grendel. Der Name stammt aus der Beowulf-Sage, und spätestens seit jener "Voyager"-Folge mit dem Doktor ("Schweitzer! Schweitzer!") kennt ihn auch jeder SF-Fan. Ein Grendel hat ziemlich üble Ernährungsgewohnheiten. Es frißt Menschen. Außerdem kann man es nur mit dem Schwert töten.
Melior stößt als nächstes auf die Bibliothekarstudentin Ruth, die ihn erst mal bei sich und ihrer Freundin Naomi aufnimmt. Diese beiden gehören zu einer ziemlich eigenartigen Gruppe, die alle Bibliothekswissenschaften studieren. Die Mitglieder dieser Gruppe, hinzu kommen noch Michael, Philip und Jane, erscheinen nicht gerade als normale Studenten. Irgendwie versteht die Autorin den Eindruck zu vermitteln, daß Bibliothekar nicht unbedingt die erste Wahl bei den Lebenszielen der einzelnen war, ohne daß sie gleich am Anfang ihre Geschichten erzählt. Diese Situation, etwas uneins mit sich und der Welt zu sein, ermöglicht es ihnen, zunächst einmal auf Melior einzugehen. Sie sind allerdings noch weit davon entfernt, ihm tatsächlich zu glauben, was er von Elfen, Schwertern und Grendeln erzählt. Aber wegen ihrer unterschwelligen Sehnsucht nach Eskapismus stimmen sie erst einmal zu, ihm weiterzuhelfen.
Ruth, die Hauptperson des Buches, hat außerdem arge Probleme damit, zu akzeptieren, daß sie sich von Melior angezogen fühlt. Sie ist ein ziemlich kaputter Charakter, gerade 30 geworden und immer noch unter dem Trauma eines 8-jährigen Komas leidend, in das sie nach einem Unfall geraten war.
Teilweise sind Kapitel des Buches auch aus der Sicht des vergrendelten Loosers geschildert, der das Schwert an sich genommen hat. Er verliert immer mehr seine menschliche Persönlichkeit, bis er nur noch das Monster ist, das in der U-Bahn Menschen fängt.
Melior und Ruths Freunde versuchen nach langem Hin und Her, Grendel in der U-Bahn zu finden, das Schwert zurückzubekommen und das Monster zu töten. Dabei ist für die Handlung eigentlich weniger interessant, durch welche finsteren Tunnel man gerade kriecht, als die Auseinandersetzungen der Menschen untereinander und mit Melior.
Die Gruppe mag ja aus ein wenig schrägen Typen bestehen, aber sie sind New Yorker und keine vertrauensseligen Märchenhanseln. Was also Melior da von ihnen verlangt, geht ohne handfeste Beweise dann doch etwas zu weit. Das Verhalten der Studenten ist recht überzeugend dargestellt. Sie sind einerseits zwar hilfsbereit, andererseits aber sehr zurückhaltend und skeptisch. Spitze Ohren überzeugen sie noch lange nicht, daß Melior ein Elf ist.
Sie bemühen sich, Beweise für die Existenz des Grendels zu finden und es damit gleichzeitig zu lokalisieren. Schließlich dringen Melior und Jane in die Tunnel ein, treffen auf das Grendel und Melior wird verletzt von der Polizei gefangen. An dieser Stelle taucht am Rande kurz ein MIB-ähnlicher Mann auf, der offenbar zu einer geheimen, privaten Organisation gehört, der das Auftauchen von Elfen auf der Erde gar nicht so neu zu sein scheint. Doch Melior kann flüchten, und die Angelegenheit wird nicht weiter vertieft.
Das Ende kommt mit Opfern und schwierigen Entscheidungen. Ruth begleitet Melior jedenfalls nicht in seine Welt, als es ihm gelingt, mitsamt dem Schwert zurückzukehren, als es dabei Schwierigkeiten gibt. Sie opfert scheinbar ihre Zukunft mit ihm, um wenigstens ihm die Rückkehr zu erlauben.
Eine nicht mit der Handlung verbundene Sache möchte ich noch erwähnen. Zwar hat Rosemary Edghill in diesem Buch nicht wie in der "Hellflower"-Trilogie einen ganz neuen Jargon erfunden, aber ihre sprachlichen Bilder sind doch wiederum bemerkenswert. Das beginnt schon mit dem Namen des Schwertes, setzt sich fort mit dem von Rohannan Melior, Hochlord des Hauses der Silbernen Stillen und endet mit ganzen Abschnitten im Text selbst. Eine Sprache, die für das Buch genau passend ist, als wäre sie eine Illustration der Handlung.
 

The Cup of Morning Shadows

Der zweite Teil der Trilogie, "Der Kelch der Morgenschatten", ist keine Urbane Fantasy mehr, sondern folgt dem Muster jener Art Fantasy, wo der oder die Helden auf irgendeine Weise von unserer in eine Fantasy-Welt gelangen, wo sie dann ihre Abenteuer erleben. Das enttäuschte mich zunächst, aber auch ohne die "urbanen" Elemente handelt es sich um eine gut lesbare Geschichte.
Ruth Marlowe ist nun irgendwo als Bibliothekarin beschäftigt, aber es dauert nur ein paar Seiten, bis sie am Weihnachtsabend im Keller der Bücherei ein verlassenes Tor zur Elfenwelt findet. Sie besinnt sich nicht lange und kriecht hindurch, um endlich ihrem geliebten Melior zu folgen - und der Bibliotheksdirektor Nic folgt ihr. Letzterer ist ein merkwürdiger Mensch, den man sich nicht unbedingt als Bibliothekar, sondern eher als Sportler vorstellt. Wie sich später zeigt, ist er ein Ex-Soldat von den Spezialeinheiten...
Nic zeigt sich von der Elfenwelt nicht besonders überrascht, während Ruth ja wußte, was sie in etwa erwarten würde, wenn sie durch das Tor kriecht. Kaum sind sie drüben, fangen die Abenteuer auch schon an. Ein Einhorn taucht auf, das von ein paar wilden Kerlen gejagt wird, man versucht Ruth umzubringen und Nic bringt im Gegenzug zwei der Angreifer um. So geht das.
Und es geht ganz schön heftig weiter. Der hiesige Königsanwärter treibt böses Spiel, um seine elfischen Kollegen zu vernichten. Dazu muß er nur die Zwölf Schätze verschwinden lassen, so daß sie von deren Bewachern zur Krönung nicht präsentiert werden können. Die Aktion mit Meliors Schwert ging auch schon in diese Richtung, jetzt scheint er es auf Meliors Cousine und den besagten Kelch abgesehen zu haben. Melior könnte allerdings mit Ruths Hilfe beweisen, daß der König und eine Zauberin ihre Hände im Spiel hatten. Deshalb soll Ruth sterben.
Es würde schon reichen, jetzt eine Jagd quer durch das Elfenreich zu beschreiben, aber die Autorin gibt noch etwas drauf. Ein rätselhafter Mann namens Fox, in dem für den Leser jedoch schnell der Erdenmensch erkennbar wird, treibt sein eigenes Spiel. Es ist Philip aus Ruths Studiengruppe, der sich für den Tod seiner Freundin Naomi damals an Melior rächen will. Daß er gleichzeitig dem König hilft, indem er verhindert, daß die Cousine an ihren Kelch herankommt, ist für ihn eher zweitrangig.
Ja, darum etwa geht es im zweiten Buch. Die Figuren sind nicht gerade eindimensional, vor allem Philip bietet eine interessanten Ansatzpunkt. Er wird nicht nur von seinen Rachegedanken getrieben, sondern versucht auch die von den Elfen offenbar unterdrückten und als Leibeigene gehaltenen Menschen zu einer Revolte aufzustacheln. Aber mehr als eine Robin-Hood-Bande schafft er zunächst mal nicht. Nic ist bis zu einem gewissen Punkt rätselhaft, weil man nicht weiß, was für eine dunkle Vergangenheit er wohl haben mag. Dann wandelte er sich aber zunehmend zu einem menschlichen Ritter - nur eine andere Bezeichnung für das, was er schon immer war: ein Soldat - dessen einziges "Missionsziel" es nur noch ist, Ruth zu retten.
Außerdem mischen geheimnisvolle Zauberer und Feuerdrachen mit, und auch die zukünftige Königin Hermonicet die Schöne - eine Art elfische Helena - verfolgt in Wahrheit ganz andere Ziele... Die Handlung ist vielschichtig und wird am Ende des Buches kaum wirklich beendet. Allenfalls der Abschnitt um Philips Rebellen kann hier abgeschlossen werden.
 

The Cloak of Night and Daggers

Der Mantel der Nacht und Dolche ist der dritte Schatz der Elfen, der verlorengegangen ist. Mit ihm ging sozusagen auch der Elf Makindeor (kurz Mac) verloren, welcher der Chefbibliothekar am Hof ist und das "Book of Airts" hütet. Er taucht daher auf dem HeliCon auf, wo er nichts besonders Auffallendes darstellt.
HeliCon? Richtig, das Buch ist wenigstens zum Teil wieder richtige Urbane Fantasy, denn es handelt in einer Ebene auf der Erde. Während Ruth, Nic, Fox und die ElfeJausserande auf der Suche nach dem gefangenen Melior sind, trifft Holly Kendall auf dem Con zufällig den desorientierten Mac. Holly war im ersten Teil eine Krankenschwester, die Melior kurz begegnete. Wie sich zeigt, hielten die geheimnisvollen Typen, die ebenfalls im ersten Teil erwähnt werden, Mac gefangen, folterten ihn und setzten ihn unter Drogen, damit er ihnen das Buch der Elfen entschlüsselte. Dann lief er ihnen eines Tages davon...
Holly und ihre fannischen Freunde haben gewisse entfernte Verbindungen zu Ruth, was später im Buch noch eine Rolle spielt. Zunächst geht es fast wie bei der ersten Begegnung dieser Art zu, wenn auch die Akzeptanz dieser zweiten Gruppe größer ist - schließlich sind es Fantasy-Fans und Live-Rollenspieler. Holly ist sogar Mitglied in der SCA, der Gesellschaft für kreativen Anachronismus, und schleppt daher eine komplette Rüstung mit Schwert herum.
Hier hat die Autorin etwas gemacht, auf dessen Möglichkeit auch ich schon mehrfach hingewiesen habe: sie stattet Holly mit einer mittelalterlichen Rüstung und einem Schwert aus, die auf dem Stand der heutigen Metallurgie hergestellt wurden! Als Holly später nach Elfland gerät, wo Eisen ein tödliches Gift ist und alle Magie schlagen kann, ist sie das dortige Äquivalent des Terminators, wie jemand bemerkt.
Eine weitere Person in Hollys Umgebung ist sehr interessant. Es handelt sich um die Fantasy-Autorin Margot Leigh Reasoner. Sie ist, wie sich herausstellt, ein Mensch aus den Elfenwelten und besitzt den magischen Mantel. Komischerweise schreibt sie über zwei Gestalten, denen Ruth einmal kurz begegnet ist und die ihr den Kelch im zweiten Teil erst gaben! Und was das seltsamste an allem ist, am Ende des Buches wird in einem biografischen Text über die Autorin Rosemary Edghill alias eluki bes shahar behauptet, sie sei Margot Reasoner! Seehr mysteriös.
Die Leute der Geheimorganisation, die oft auch als MIB bezeichnet werden, sind so skrupellos, wie man sie sich im Zeitalter von "X-Files", "Dark Skies" und anderen Serien vorstellt. Zum Glück haben sie auch in diesem Buch keinen Erfolg.
Ich will hier nicht alles aus dem Inhalt erzählen, nur soviel sei noch bemerkt. Es entwickelt sich keineswegs vorhersehbar. Und der Moment, auf den scheinbar die ganze Zeit hingearbeitet wurde, ist dann überraschend doch nicht der Punkt der Entscheidung. Sollte es da doch noch weitere Teile geben? Wieviel Schätze waren das noch mal? 

SX 93

 

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