Buzz Aldrin & John Barnes: Begegnung mit Tiber

Buzz Aldrin & John Barnes: Begegnung mit Tiber
(Heyne Hardcover)


Eins kann man fast mit Sicherheit sagen: Buzz Aldrins Name steht nicht nur auf dem Cover, um das Buch zu verkaufen. Man merkt ihm an, daß der Astronaut selbst mit Hand angelegt hat und nicht alles dem SF Autor John Barnes überließ. Es ist natürlich nur die Spekulation des Rezensenten, aber ich hatte den Eindruck, daß die Teile des Buches, die eher futuristisch waren als SF von ihm stammen müßten. Es wäre einfach logisch.
Die Einstellung der Mondflüge und der Kurs, den die amerikanische Raumfahrt danach einschlug, und zwar auf Betreiben der Politik, hat einen tiefen Einschnitt im Bewußtsein aller hinterlassen, die sich irgendwie für die Raumfahrt interessieren. Seien es nun NASA Mitarbeiter, die zu Hunderten entlassen wurden, wodurch wertvolles Potential vergeudet wurde, seien es Astronauten, die ihre Träume begraben mußten, oder alle anderen Enthusiasten, die den "kleinen Schritt eines Menschen" nur als den ersten der Menschheit hinaus aus ihrer Wiege ansahen. Immer wieder äußern sich vor allem SF Autoren kritisch oder verbittert über dieses Ereignis. Manchmal vergißt man dabei, daß die Forcierung der Raumfahrt durch Kennedy in erster Linie auch nur politisch motiviert war. Als die weltpolitische Notwendigkeit wegfiel, gaben die amerikanischen Politiker nur zu gern dem Druck der gelangweilten und ungebildeten "Öffentlichkeit" nach. 

Nun, auch Aldrin rechnet mit diesem Schritt seiner Regierung ab, doch nicht nur verbittert und nachtragend, sondern indem er eine zukünftige Alternative aufzeigt und ausführlich über die Möglichkeiten und Chancen spekuliert, die eine Ausweitung des Raumfahrtprogrammes bieten würde. Mag sein, daß sein Idealismus dabei ein wenig zu stark ist, aber Idealismus ist sicher ein besseres Leitbild als der Kalte Krieg.
In der nahen Zukunft empfängt man ganz ähnlich wie in Carl Sagans "Contact" ein Funksignal außerirdischen Ursprunges. Es kommt sogar von unserem nächsten Nachbarn im All, aus dem Centauri System. Entschlüsselt stellt es sich als Film heraus, der den Schluß zuläßt, daß die Außerirdischen in ferner Vergangenheit das Sonnensystem besuchten. Was aber den Schock noch überwiegt, den das der Menschheit versetzt, ist die Information, daß auf dem Mond und auf dem Mars offenbar zwei Container abgelegt wurden, die man bald als Enzyklopädie bezeichnet. Um an das Wissen der fernen Zivilisation heranzukommen, wird nach fünfzig Jahren wieder ein Mondflugprogramm angekurbelt.
Die Autoren gehen in diesem Zusammenhang ausführlich nicht nur auf mögliche technische Lösungen ein, die einen Mondflug auf dem Stand der heutigen Technologien vorstellbar machen, sondern auch auf die wirtschaftlichen Hintergründe, die für eine schnelle Entwicklung dieser Technik erforderlich wären. Ohne hier weiter darauf eingehen zu wollen, dieser Teil des Buches stellt praktisch einen Appell an die Privatwirtschaft dar, in einer solchen Sache die Politiker weiterschlafen zu lassen und selbst die (profitträchtige) Initiative zu ergreifen.  

Doch die Bergung der Enzyklopädie vom Mond geschieht auch unter dem Druck des "Kalten Friedens" mit China. Obwohl es Probleme mit der Landefähre gibt, wird der Rückstart befohlen und es kommt zur Katastrophe.
Die einzige Hoffnung der Menschheit ist nun der Mars.
Der Leser weiß freilich, daß man die Enzyklopädie vom Mars geborgen haben muß, denn die Ereignisse werden von einer Frau berichtet, die sich an Bord eines Sternenschiffes befindet, das nach Alpha Centauri bzw. Tiber unterwegs ist. Dadurch wird der Aufbau des Romanes etwas kompliziert, denn die handelnden Ich Erzähler sind keineswegs immer dieselben Personen. In den verschiedenen Abschnitten geht es um die Vorbereitung und Durchführung des Mondfluges, um die Marsexpeditionen und um die Erlebnisse der Tiberer vor ca. 9000 Jahren auf der Erde. Letzteres fanden die Menschen in Form von zwei wiederum getrennten Berichten in der Wissenssammlung des Mars. Clio Trigorin, die besagte Frau, übersetzt diese Texte an Bord des Sternenschiffes.
Die Tiberer waren damals auf der Suche nach einer neuen Heimat, denn ihr Planet wurde von einer Trümmerwolke bedroht, die in absehbarer Zeit als riesiger Meteoritenregen seine Oberfläche verwüsten würde. Sie mußten allerdings mit immer neuen Problemen kämpfen, so daß ihre kleine und nicht ganz freiwillige Kolonie im Sonnensystem schließlich ausstarb. So auch ihre Heimat, denn das Funksignal kam von einer automatischen Station. Aber am Ende entdeckt Clio Trigorin auf Tiber einen Hinweis, daß man damals den Exodus doch noch geschafft hat. Die Menschheit wird den Tiberern folgen...
Das Buch schlägt einen enormen Bogen über die Jahrtausende und zwischen zwei Zivilisationen, wobei die Gesellschaft der Tiberer mit genau derselben Sorgfalt ausgemalt ist wie die raumfahrttechnischen Details. Natürlich widerspiegelt Tiber mit seinen beiden sehr unterschiedlichen Rassen und den damit verbundenen Problemen letztlich auch nur die Menschheit, aber deshalb ist der Entwurf nicht weniger plausibel. Von der Geschichte bis hin zu anatomischen Einzelheiten ist alles fremdartig und doch einleuchtend.
Natürlich greifen die Autoren auf Bekanntes zurück, um über die Gesellschaft von Tiber zu reden. Zunächst ist sie ein Kaiserreich (Imperium), in dem die eine Rasse seit langer Zeit unterdrückt wird. Später gibt es eine Revolution, die zu einer "egalitären Republik" führt, die recht deutlich an gewisse Experimente der menschlichen Geschichte erinnert. Zwischen diesen beiden Extremen stehen die außerirdischen Protagonisten auf der Bewährungsprobe. Ihr kulturelles Erbe läßt sie auf der Erde versagen, doch andererseits zeigt der letztliche Erfolg des Exodus, daß auch dies überwunden werden kann.
"Begegnung mit Tiber" lehnt sich im Titel nicht ohne Grund an Clarkes "Encounter with Rama" an, wo ein entfernt ähnliches Sujet eine Rolle spielt.
Clarke, der den Autoren offenbar mit Rat zur Seite stand, äußert sich im Vorwort zum Buch: "Es ist einfach nicht fair. Es gab eine Zeit, da hatten wir Science Fiction Autoren den Weltraum ganz für uns allein und konnten daraus machen, was wir wollten. ... Inzwischen sind Leute wie Buzz dort gewesen und können uns ganz genau sagen, wo wir uns vergaloppiert haben. 

Und damit nicht genug. Jetzt schreiben sie auch noch selber Science Fiction. Schlimmer noch, verdammt gute Science Fiction."

Encounter with Tiber, (c) 1996 by Buzz Aldrin & John Barnes, übersetzt von Irene Holicki 1998, 655 Seiten, DM 44. , Hardcover mit Schutzumschlag 

SX 98

 

 

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