Sheri S. Tepper: Gras

 Monströse Welten # 1
Sheri S. Tepper: Gras
(Heyne 06/5918)


Das Titelbild von Karel Thole wirkt etwa so monströs wie die Überschrift der Trilogie. Schade, daß der Verlag an einem Zeichner festhält, der nur so häßliche Schmierereien abliefert. Zum Kauf würde mich dieses Cover keineswegs animieren. Nur gut, daß ich mit Tepper bereits positive Erfahrungen gemacht hatte, sonst würde ich es wohl nicht mal gelesen haben.
Auf einer Welt da draußen wächst das Gras. In vielerlei Form, Farbe und Größe. Bäume stehen nur in den Sümpfen, Meere gibt es nicht. Die Welt heißt konsequenter oder einfallsloserweise Gras. Denn Menschen haben sie besiedelt und leben in Commoner Town, dem einzigen Ort, wo das Gras nicht hinkommt, und diversen Siedlungen. In letzteren gibt es eine Art Landadel und Bauern. Der Adel ist so dünkelhaft, daß er gar nicht merkt, daß das wahre Leben eigentlich in Commoner Town abgeht...
Anderswo in der von Menschen besiedelten Galaxis hat eine doktrinäre und äußerst repressive Kirche namens Heiligkeit das Sagen. Über so etwas stolpere ich eigentlich immer beim Lesen, denn mir leuchtet nicht so recht ein, wie eine solche gesellschaftliche Entwicklung ablaufen soll. Eine massenhafte Verdummung der Menschheit etwa? Aber es sei dahingestellt, daß man für das Buch einfach mal annimmt, es habe eine Renaissance von noch schlimmerem religiösen Wahn als heute gegeben. Wenn ich es mir recht überlege, so abwegig ist das vielleicht gar nicht. Die Kirche versucht ja auch gegenwärtig, sich immer stärker in das Leben des Einzelnen einzumischen. Was geht diesen Tattergreis von Papst eigentlich an, ob eine Frau ein Kind haben will oder nicht? Aber lassen wir das, obwohl eine rigide Bevölkerungspolitik von Heiligkeit auch im Roman eine Rolle spielt. (Wer mehr als zwei Kinder zeugt oder bekommt, wird deportiert oder gleich erschossen.)
Heiligkeit hat ein viel schlimmeres Problem: die Pest. Eine unheilbare Krankheit mit 100% Todesfolge, die sich in allen Welten der Menschen ausbreitet. Noch streitet die Kirche ab, daß es so etwas überhaupt gibt, aber sie sucht verzweifelt nach einer Lösung. Daher wird Rigo Yrarier nebst Familie als Botschafter nach Gras geschickt, wo anscheinend die Pest nicht auftritt. Da die Adligen von Gras keine Untersuchungen durch Wissenschaftler dulden, muß eben ein Botschafter ran.
Die eigentliche Hauptperson des Buches, die sich erst nach und nach aus einer Vielfalt von Personen herauskristallisiert, ist aber Rigos Frau Marjorie. Rigo selbst ist ein Mann in der besten Tradition feministischer Autorinnen: ehrgeizig, engstirnig, grundlos eifersüchtig und gleichzeitig ehebrecherisch, ein Macho richtig zum Kotzen.
Da ist er auf Gras in guter Gesellschaft. Die männlichen Aristos, allen voran ein gewisser Stavenger, scheinen außer der Fuchsjagd nichts anderes im Kopf zu haben.
Ab der Stelle, wo die erste Jagdgesellschaft aufbricht, wird es seltsam. Zwar gibt es schon im Prolog Andeutungen, aber der Leser merkt mit dem Erleben der Personen immer stärker, daß es hier weder um Pferde, noch um Hunde und schon gar nicht um Füchse geht! Irgend etwas ist dabei entsetzlich falsch.
Aber erst als die genannten Wesen mit den Augen der Botschafterfamilie gesehen werden können, wird ganz klar, wie anders sie sind. Die Hippae oder Reittiere niemals Pferde sagen! und schon gar nicht in ihrer Hörweite sind monströse Bestien, knochenstachlig, riesenhaft und von tödlicher Bosheit. Die pferdegroßen "Hunde" stehen ihnen darin in nichts nach. Sie benutzen die Menschen praktisch, um ein Wesen zu jagen, das man lächerlicherweise "Fuchs" nennt, das sie hassen, weil es ihre Eier oder Larven frißt. Denn sie besitzen nicht nur eine Art Intelligenz, sie können auch die Kontrolle über Menschen übernehmen. Und wenn ein Mensch nicht aufpaßt, dann wird er beim Reiten von den Stacheln aufgespießt, zertrampelt oder verschwindet einfach während der Jagd. Es gibt viele Formen von "Jagdunfällen", und keiner redet je darüber.
Es gibt also Stoff genug für Konflikte, und die werden auch reichlich geliefert. Den Planeten umgibt ein unheimliches Rätsel, das Schritt für Schritt nicht etwa gelöst wird, sondern immer schrecklicher wird. Bei so einer Kost nimmt man dann auch die vielen religiösen Probleme hin, die am Rande diskutiert werden. Sie gehören eben dazu. Selbst wenn man mit kirchlichen Doktrinen nichts im Sinn hat, so sind die Fragen von Schuld und Sünde, von der Bedeutung des Menschen in den Augen Gottes ("Sehr Kleine Entitäten") und andere Problemkreise sicher nicht überflüssig.
Die metamorphe Ökologie des Planeten Gras ähnelte in ihrer Anlage übrigens ein wenig Orson Scott Cards Lusitania (Ender Zyklus), aber das ist manchmal unvermeidlich. Allerdings erschien sie mir ein wenig karg, in ein funktionierendes Ökosystem gehören mehr Wesen hinein. Das mag daran liegen, daß sich Tepper auf die hauptsächlichen Lebensformen konzentrierte. Ein hard core SF Autor hätte sicher noch weitere hundert Seiten mit Exobiologie gefüllt.
Weil ich nicht mehr vom Inhalt preisgeben will, schließe ich mit dem Rat: Laßt Euch weder von dem häßlichen Titelbild noch vom unpräzisen Klappentext abschrecken, der nicht einmal dieselben Begriffe wie das Buch verwendet, und legt es Euch zu.

Gras, (c) 1989 by Sheri S. Tepper, übersetzt von Martin Gilbert 1997, 637 Seiten, DM 19.90 

SX 98

 

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